Pedro Lenz’ Roman «Der Goalie bin ig» brachte Dialektliteratur aus der Nische ins Rampenlicht. Ein tragikomisches Porträt, das zugleich den Beginn einer neuen Mundart-Ära einläutet.
«I bi nes Zytli z Witzwiu ghocket, Voupension, he jo, wäge Giftgschichte. Bi nid der Erscht. Es Zwüschetöif. Dumm gloufe. Dasch aus. Keni Usrede. Ha Seich gmacht. Es het mi gefüdlet und inegnoh.» So redet Ernst, den alle nur den «Goalie» nennen, im Debütroman des 1965 in Langenthal geborenen Autors Pedro Lenz. Das Buch ist als Rollenmonolog angelegt. Der Ich-Erzähler ist ein Ex-Junkie, der sich nach Verbüssung einer Haftstrafe in seinem Heimatort wieder eine Existenz aufbauen will und als Lagerarbeiter sein Geld verdient. Abends hängt er mit den Typen von früher in der Beiz herum, im «Maison», und verguckt sich in Regula, die dort bedient.
Doch aus der Romanze, die die beiden für eine Weile nach Spanien führt, wo ein Bekannter aus dem Drogenmilieu ein angeblich geerbtes, in Wahrheit mit dem Geld aus seinen krummen Geschäften gekauftes Haus hat, wird nichts. Am Ende entscheidet sich Regula gegen den Goalie und kehrt zu ihrem mitunter gewalttätigen Freund zurück. Der Goalie zieht nach Bern; dort findet er Arbeit «imne Schueuhus, aus Abwart-Stöuverträtter oder Hüufsgärtner oder wi me däm wott säge». Er beginnt auch wieder Drogen zu nehmen, aber nur am Wochenende, «nid gierig, i nimes nume, wöus warm git».
Unverbesserlicher «Laferi»
Es wird viel palavert, geraucht und gesoffen in dem von Agglo-Tristesse geprägten Milieu, das Pedro Lenz schildert. Sein Protagonist ist ein sympathischer Verlierer, der sich seine Vergangenheit schönredet und sich immer wieder selbst etwas vormacht. Dadurch gewinnt der Text an innerer Spannung. Wir leiden und hoffen mit dem «Goalie». Er geht uns nahe. Pedro Lenz hat ihn als tragikomischen Antihelden angelegt; wir lieben ihn, obwohl uns nicht entgeht, dass er ein unverbesserlicher «Laferi» ist.
«Der Goalie bin ig» wurde nicht nur mit etlichen Preisen ausgezeichnet, sondern geriet auch zum sensationellen Verkaufserfolg. Das erstaunt und bedarf der Erklärung, denn Mundartliteratur ist meist eine Nischenangelegenheit. Zum einen wird der jeweilige Dialekt nur von einer überschaubaren Gruppe gesprochen. Zum andern tun sich auch innerhalb dieser Gruppe viele schwer mit dem Lesen von Mundarttexten. Das Idiom, das sie täglich sprechen, kommt ihnen in schriftlicher Form ganz fremd entgegen. Während ihnen das geschriebene Hochdeutsch seit der Primarschule vertraut ist, müssen sie den transkribierten Dialekt mühsam entziffern.
Doch an diesem Befund hat sich in der Schweiz in den letzten zwanzig Jahren Entscheidendes verändert. Über allgegenwärtige Kommunikationsformen wie Chats und SMS hat die verschriftlichte Mundart an breiter Akzeptanz gewonnen, und auch die Kulturszene nutzt sie immer selbstverständlicher. Zwar gab es schon früher Mundartliteratur von Rang; man denke nur an die Ahnenreihe, die von Simon Gfeller und Maria Lauber bis zu Ernst Burren und – mit zwei schmalen, aber wichtigen Bänden – Kurt Marti reicht.
Liedermacher wie Mani Matter, Rockmusiker wie Polo Hofer zogen nach. Doch zur breit abgestützten, jungen und vorwärts gerichteten Bewegung wurde die Mundartliteratur erst durch die Spoken-Word-Szene, die sich im neuen Millennium etablierte. Im Gegensatz zu ihren Vorläufern ist sie nicht mehr auf den Grossraum Bern konzentriert, sondern auch in Basel und Zürich, Luzern und St. Gallen präsent.
Wesentlichen Anteil an dieser Entwicklung hat der Verlag Der gesunde Menschenversand in Luzern unter der Leitung von Matthias Burki. 2009 lancierte er die Buchreihe «edition spoken script», die inzwischen auf 50 Bände angewachsen ist. Bereits im zweiten Verlagsjahr erschien als Band 4 «Der Goalie bin ig» von Pedro Lenz, der bisher erfolgreichste Titel der Reihe. 35 000 Mal hat er sich verkauft: eine bis dahin kaum vorstellbare Zahl für ein Mundartbuch.
Dialekt wird Mainstream
Der Roman wurde zudem 2014 von Sabine Boss erfolgreich verfilmt, mit Marcus Signer in der Hauptrolle und einem Titelsong von Züri West; er wurde ins Italienische, Englische, Französische, Niederländische, Lettische, Litauische, Ungarische und Russische übersetzt, ja sogar ins Hochdeutsche, notabene nicht vom Autor selbst, sondern von Raphael Urweider.
Mit «Di schöni Fanny» (2016) und «Primitivo» (2020) hat Pedro Lenz, der unentwegt auf Lesereise ist und zudem in hohem Tempo Bücher mit Kolumnen, Bühnentexten und Gedichten veröffentlicht, zwei weitere gelungene Dialektromane vorgelegt. Doch mit keinem wird er so identifiziert wie mit dem «Goalie». Dieser ist zum einen ein höchst origineller, bezwingender Text; zum andern markiert er den Beginn einer neuen Ära: Mit ihm ist die Mundartliteratur im Mainstream angekommen.
Passend zum Artikel
Redaktion NZZ am Sonntag
38 min
Martina Läubli
5 min